Archiv für den Monat: Januar 2009

Tötentötentötentötentötentööööööööten

Ein Angriff auf das Herz

In Chicago – einst größtes Schlachthaus und bedeutendste Fleischfabrik der USA – hat ein neuer Metzger sein Werk aufgenommen. Ein tonnenschweres Monster, das im Verborgenen haust und wahllos zuschlägt.

Er ist der, den sie in Vietnam CHAINGANG nannten. Er ist der, von dem sie in Marion behaupteten, er habe für fast jedes Pfund seines Körpergewichts einen Menschen getötet, und er wog an die fünfhundert Pfund. Er ist der personifizierte Tod, dämonisch, unbesiegbar, blutrünstig und sehr, sehr real.

Der fettgewordene Alptraum

Chaingang: Daniel Edward Flowers Bunkowski. Als Kind missbraucht, später vom Staat als Killermaschine instrumentalisiert, macht nach seiner Rückkehr aus Vietnam einfach genau mit dem weiter, was er am besten kann: töten. Das hat er vorher getan, daran hält er sich auch weiterhin. Die Medien nennen ihn den »Einsame-Herzen-Killer«, weil er seinen Opfern das Herz herausreißt, um es zu essen. Er tötet ohne höheres Ziel, ohne tieferen Grund, er tötet, weil er es kann und weil er es mag.

Um das Morden zu stoppen, wird der Spezialist für Schwerverbrechen Jack Eichord hinzugezogen; eine gebrochene Gestalt, ein halbwegs trockener Alkoholiker, stets im Kampf mit der Sucht, einsam und einigermaßen bindungsgestört. Während seiner Ermittlungen verliebt er sich ausgerechnet in die Witwe eines der letzten Opfer Bunkowskis.

Als Chaingang ein hohes Tier der Chicagoer Gesellschaft tötet, wächst der öffentliche Druck auf die Polizei. Ein Täter muss her – und zwar möglichst schnell. Als ein Copykiller gefasst werden kann, gibt man ihn wider besseren Wissens und gegen den Widerstand von Eichord als den »Einsame-Herzen-Killer« aus. Die Presse jubelt und feiert Eichord als Held. Und Chaingang beschließt zu zeigen, wer nun wirklich wer ist. Dafür nimmt er Eichord, seine neue Freundin und deren kleine Tochter ins Visier.

Niederwalzend und mitreißend

Temporeich, blutig, eklig, komisch und skrupellos. Rex Miller nimmt keinerlei Rücksicht auf die Gemüter seiner Leser, geht keine Kompromisse ein, weder ästhetisch, moralisch noch literarisch – und das ist auch gut so. Herausgekommen ist ein fulminanter, niederwalzender Serienkillerroman – *der* Serienkilleroman -, der in Rückblenden, parallel verlaufenden Erzählsträngen und aus unterschiedlichen Perspektiven, ironisch gebrochen, grandios erzählt. Miller schildert, ohne groß nach Erklärungen zu suchen. Auf diese Weise wird Chaingang nicht banalisiert oder zum Vorstadt-Dämon des wohligen Schauers verharmlost. Er ist eine fette Killermaschine, ein Monster, so eklig stinkend wie die Kloake, aus der er kriecht. Er ist nicht der nette Kerl von nebenan, der ein dunkles Geheimnis verbirgt, er ist nicht der feinsinnige Ästhet, der Genie mit Wahnsinn kombiniert. Kein fehlgeleitetes Glied der bürgerlichen Gesellschaft, sondern ihr Auswurf.

Ein spezieller Laut, Anblick oder Geruch löste intensive Erinnerungen an seine Kindheit aus oder an die Jahre konzentrierten Schreckens in verschiedenen Institutionen. Was für Sie oder mich unangenehm wäre, der Geruch von Zigarrenrauch, das Gefühl eines Schwamms voll Kreide, das Aroma eines Duftkissens, der Krankenhausgeruch von Desinfektionsmitteln, konnte ihn in mordlüsterne Raserei versetzten. Und dann schlugen die Wellen von Haß und Wahnsinn über ihm zusammen wie eine blinde, rote verzehrende Flut, Mordlust erfasste ihn, regnete auf ihn herab wie ein sengender Wolkenbruch flüssigen Feuers, und dann brauchte er all seine Konzentration und seine Fertigkeit und Selbstbeherrschung, denn in diesem Zustand beging er immer seine bösen Taten.

»Fettsack« ist Millers Debütroman, der schon 1987 in den USA veröffentlicht wurde. Laut Edition Phantasia, wo der Roman 2008 erstmals ungekürzt auf Deutsch erschienen ist, schlug der Roman damals ein wie eine Bombe. Kein Wunder. Was Rex Miller mit »Slob« – so der Originaltitel – vorlegt, ist gewaltig: Die Gestankorgie mit ihren Splattereinlagen, aber auch der ebenso zarten wie völlig unromantisch geschilderten Liebesgeschichte ist so lustvoll und rauschhaft erzählt, dass sie gleichermaßen beängstigt wie mitreißt, Ekel erregt wie in den Bann schlägt. Dank der hervorragenden neuen Übersetzung von Joachim Körber bleibt dies auch in der deutschen Ausgabe spürbar.

Kirsten Reimers

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Rex Miller: Fettsack
Aus dem amerikanischen Englisch von Joachim Körber
Edition Phantasia, 269 Seiten, 15,90 Euro
ISBN: 978-3-937897-30-1

Diese Rezension ist auch erschienen auf satt.org


Leben mit dem Verlust

Nicht nur Thomas Lynley muss einen Weg finden zu überleben

An der Küste von Cornwall wird die Leiche eines Jugendlichen gefunden. Santo Kerne scheint beim Klettern in den Klippen abgestürzt zu sein. Auf den ersten Blick wirkt es wie ein bedauerlicher Unfall. Entdeckt wird die Leiche von einem einsamen Wanderer: Thomas Lynley, nach dem dramatischen Tod seiner Frau und seines ungeborenen Kindes vollkommen aus der Bahn geworfen. Er hat Scotland Yard, Freunden und Familie den Rücken gekehrt, um allein die Küste entlang zu wandern, um zu vergessen. Doch der Tod von Santo Kerne zwingt ihn ins Leben zurück.

Denn wie sich herausstellt, handelt es sich nicht um ein Unglück. Die Kletterausrüstung des 18-Jährigen ist manipuliert worden. Die ermittelnde Polizeibeamtin, Detective Inspector Bea Hannaford sieht sich bald einer ganzen Reihe von Verdächtigen gegenüber, ein Motiv hatten recht viele.

Was jedoch auffiel, war die große Gelassenheit hinter dem Verbrechen. Zeit schien keine Rolle gespielt zu haben. Sie suchten also nicht nach jemand Ungeduldigem, der ein Verbrechen aus Leidenschaft begonnen hatte. Sie suchten nach jemand Ausgefuchstem.

Da sich die Ermittlungen immer komplexer gestalten und die Kriminalpolizei in dieser Gegend von Cornwall eher dünn besetzt ist sowie wenig Erfahrung mit der Aufklärung von Morden hat, zieht DI Hannaford Lynley zu den Ermittlungen hinzu. Außerdem hat sie jemanden von Scotland Yard zur Unterstützung angefordert: DC Barbara Havers ist unterwegs.

Kein typischer Lynley-Havers-Krimi

»Doch die Sünde ist scharlachrot« ist der 14. Kriminalroman von Elizabeth George um Thomas Lynley und Barbara Havers. Der vorherige Roman (»Am Ende war die Tat«) zählt nicht in die Reihe hinein, denn er schildert die Umstände, die zur Ermordung von Lynleys Frau Helen geführt haben, aus Sicht des zwölfjährigen Täters. Und auch der aktuelle Titel ist kein typischer Lynley-Havers-Krimi. Der Inspector und seine langjährige Partnerin spielen eher Nebenrollen. Lynley, der nur widerwillig ermittelt, verfolgt eigene Ideen und Spuren, und Barbara Havers unterstützt in erster Linie Hannaford, die in diesem Roman im Mittelpunkt steht. Und das ist gut so. Denn zum einen wäre ein aktiver Lynley eher unglaubwürdig, zum anderen ist Bea Hannaford eine sehr sympathische Ermittlerin.

Die alleinerziehende Mutter – geschieden aus eigenem Entschluss – ist sehr bestimmt und bodenständig und alles andere als eine Übermutter: Mit sympathischen Macken versehen ermittelt sie in einem Fall, der undurchdringlich scheint.

Differenzierte Charaktere, behutsames Vorgehen

Das Tempo des Krimis ist sehr zurückgenommen. Das passt sehr gut, denn natürlich geht es bei George nicht allein um den Mord. Die Personen und ihre Geschichte, ihre Beziehungen untereinander nehmen einen großen Raum ein. Der Fokus liegt auf Verlust eines geliebten Menschen und der Frage, welche Möglichkeiten man findet, um damit umzugehen: Da sind die Eltern des ermordeten Jugendlichen; der Großvater, der fürchtet, seine Enkelin an ein ihm fremdes Leben zu verlieren; der Vater, der vor vielen Jahren seinen Sohn verlor; die Frau, die sich vor langer Zeit von ihrer Familie lossagte; und natürlich Thomas Lynley, der einen Weg sucht, mit dem Mord an seiner Frau zu leben.

Differenzierte Charaktere, behutsames Vorgehen, übergeordnete Fragen, die aus verschiedenen Sichtweisen gestellt und betrachtet werden – Elizabeth George hat zu recht eine große Fangemeinde. Das muss man natürlich mögen. »Doch die Sünde ist scharlachrot« ist ein 760-Seiten-Wälzer mit dem Versprechen des Entschwindens für Tage und Stunden: eintauchen in die George-Welt, in der man eher fühlt als denkt. Da muss man der Autorin vertrauen können. Und George ist durchaus eine, der man sich anvertrauen kann, denn ihren Figuren wie ihren Lesern gegenüber handelt sie ebenso fair wie einfühlsam und gibt niemanden der Lächerlichkeit preis.

Kirsten Reimers

Elizabeth George: Doch die Sünde ist scharlachrot
Ein Inspector-Lynley-Roman
Aus dem amerikanischen Englisch von Ingrid Krane-Müschen und Michael J. Müschen
Blanvalet 2008, 768 Seiten, 24,95 Euro
ISBN: 978-3-7645-0242-3